Holzkonstruktionen machen «bella figura» an der Expo 2015 in Milano. Kommt man an den Schweizer Pavillon, so ist man nach dieser hölzernen Vielfalt etwas enttäuscht ob der Nüchternheit der Aluminium-Glas-Konstruktion. Man denkt: Schwiiz halt! Hier bekommt man ein Ticket zum späteren Anstehen. Gut organisiert. Schwiiz halt. Schlange stehen macht nichts, wir haben es ja an der Expo.02 gelernt. Vor uns eine Gruppe junger Chinesen um die zwanzig, die wir nonchalant überholen, da sie mit einem Guide ins Gespräch vertieft sind. Die Chinesen schliessen auf und befinden sich nun hinter uns; schon stürzt sich ein weiterer Guide auf die Gruppe: «Hi, where are you from?»
Endlich stehen wir vor dem Lift. Ein Guide in beigen Hosen und trendy Blazer im Boyfriend-Stil mit Edelweiss-Emblem auf dem Ärmel und Strohhut «auf Durst» quatscht uns an. Er will uns die Symbolik der vier Produkte erklären, die in den vier Pavillon-Türmen in begrenzter Anzahl lagern: «Das Salz wird nach jahrhundertealter Tradition aus dem Boden gewonnen. Es ist Symbol für Schweizer Know-how und Qualität. Kaffee steht für Innovation, denn…» Die Lifttür geht auf. «Ich muss jetzt gehen», unterbreche ich ihn und steige mit der Gruppe Chinesen ein.
Im vierten Stock angekommen empfängt uns eine junge Frau, die uns erklärt, dass wir von den vier symbolischen Produkten Wasser, Salz, Kaffee und Öpfelringli so viel mitnehmen können, wie wir wollen, denn mit unserem Konsumverhalten entscheiden wir selbst, wie viel für die Anderen noch übrig bleibt. Die Produkte werden bis zum Expo-Ende nicht mehr aufgefüllt. Die Chinesen schauen sich mit grossen Augen an und lachen verlegen. Ein Königreich für ihre Gedanken! Ich nehme von jedem Produkt eines, denn das steht wohl jedem Besucher zu. Vom Wasser trinke ich zwei Becher, weil so ein Tag an der Expo einfach Durst macht. Die Tour dauerte gefühlt eine Minute. Vielleicht war es auch länger. Irgendwie habe ich kurz mein Gefühl für Raum und Zeit verloren. Hier wird man rasant durchgeschleust und steigt am Ende imprägniert mit dieser Informationen über knapper werdende Ressourcen wieder in den Lift Richtung Erdgeschoss. Keine Treppe, kein Schlendern. Die Etagen 3 bis 1 bleiben uns verwehrt. Diese werden von künftigen Besucher-Generationen besucht werden, wenn die oberen Stockwerke längst leergeräumt sind. Ziemlich effiziente Inhaltsvermittlung. Schwiiz halt!
Am Ende der Tour bin ich von der Schweiz so geflasht, dass ich mich beim Gedanken ertappe, ein Selfie mit einer Alphornbläserin in Berner Tracht schiessen zu wollen, komme aber rechtzeitig wieder zur Besinnung.
Eine echte Swissness-Erfahrung erlebe ich dann aber auf der Heimfahrt. Eine total verrostete italienische Lok zieht Schweizer Zugwagons gen Norden. Mehr Klischee geht nicht, denn die Befürchtungen werden wahr. Es muss wohl daran liegen, dass Schweizer Wagons und italienische Lokomotiven irgendwie nicht kompatibel sind. Der kleine, rundliche Conduttore der Trenitalia und seine blonde Kollegin zeigen sich angestrengt mit einer wichtigen Sache beschäftigt und untermauern dieses Bild, in dem sie hektisch telefonierend im Zug hin und her gehen. Eines ist klar, diese Komposition kommt nicht mehr weit. Nach einer ruckeligen Fahrt ohne Klimaanlage und einem Umzug aller Fahrgäste in den vordersten Wagon erreichen wir mit 40 Minuten Verspätung Domodossola. Hier treten die Kondukteure der SBB ihren Dienst an. Jetzt wird ausgesprochen, was schon längst klar war, der Zug ist kaputt. Mit letzter Kraft schaffen wir es noch bis Brig. Schön, dann war ich jetzt auch mal im Wallis! Auf der Fahrt dahin organisierten die Kondukteure für alle Reisenden neue Routen und checkten die Anschlüsse. Oberstes Ziel: Jeder soll nach Hause kommen, auch wenn die letzte Etappe mit dem Taxi zurückgelegt werden muss, weil der Anschlusszug schon lange abgefahren ist. Der «Kondi» übergibt uns im HB Zürich in die Obhut einer Taxifahrerin und wünscht uns gute Heimreise. Ich bin geflasht von der SBB und denke: Schwiiz halt!
P.S.: Für ein Selfie mit dem Kondukteur war ich mittlerweile zu müde, er hätte es aber verdient.