Kempraten bei Jona. Ein steiler Hang an privilegierter Lage mit einem atemberaubenden Blick auf das Schloss Rapperswil. Dort liegt der Höcklistein, ein Weinberg, dem vor langer Zeit berühmte Tropfen entstammten und dessen Produkte seit ein paar Jahren wieder auf dem Weg an die – nicht nur nationale – Spitze sind. Wir treffen den Önologen Andreas Stössel im nasskalten Nieselregen und sprechen mit ihm über Terroirs und Diven. Und erfahren, wie wichtig es ist, dass Winzer glücklich sind.
Herr Stössel, Sie waren 20 Jahre lang Weinmacher in der Toscana. Nun sitzen wir am oberen Zürichsee, draussen sind es drei Grad, und hätten wir keinen Nebel, wir könnten den Schnee auf den Hügeln am anderen Seeufer sehen. Sind Sie ein klein wenig Masochist?
Ja und nein (lacht)! Also sicher nicht, weil ich in die Schweiz zurückgekehrt bin. Auch wenn es etwas kälter wird hier, liebe ich die Landschaft genauso wie jene des Chianti Classico oder der Maremma. Ein wenig masochistisch sollte man als Önologe aber schon sein, wenn man sich Sorten wir Pinot Noir oder Sangiovese verschrieben hat.
Wie ist das zu verstehen?
Beide Rebsorten gelten als regelrechte Diven, die einem das Letzte abverlangen! Gelingt es einem aber, sie richtig zu hegen und zu pflegen, dann entstehen ganz wunderbare Weine daraus, einfach unvergleichlich!
Vor sechs Jahren sind sie wieder zurück in die Schweiz gekommen und haben als Önologe gleich zwei Weingüter der Familie Schmidheiny übernommen: eines im Rheintal und dieses hier in Jona. Wie passt das zusammen?
Sehr gut eigentlich. Auf dem Weingut in Heerbrugg ist Thomas Schmidheiny aufgewachsen, und hier, am Fusse des Höcklisteins lebt und arbeitet er heute. Ausserdem liegt beides im Kanton St. Gallen, in der gleichen AOC also. Vinifiziert wird allerdings nur in Heerbrugg.
Sie haben vor ein paar Wochen hier auf dem Höcklistein die neusten Weine des Hauses vorgestellt. Eine ganz besondere Premiere.
Wir durften nach sechs Jahren intensivem Ausprobieren und Optimieren zum ersten Mal zwei unserer Lagenweine vorstellen. Es kamen fast 100 Personen aus Fachpresse, Handel und Gastronomie, aber auch Weinblogger und ein paar Sammler. Ein grosser Moment für mich und das ganze Team.
Was macht diese Weine aus?
Sie stellen die Spitze unserer Qualitätspyramide dar – das Beste, was sich aus diesen Weinbergen herstellen lässt.
Das Ende eines langen Weges?
Das Ende? Nein, sicher nicht. Eher ein erster Zwischenhalt auf einer langen Wanderung.
Wo hat denn dieser Wanderung begonnen?
Als Thomas Schmidheiny den Höcklistein übernahm, waren das einfach Dutzende einzelne Parzellen in teilweise desolatem Zustand, mit Rebsorten minderer Qualität. Nach einer eingehenden Analyse des Terroirs wurde praktisch alles neu bepflanzt oder aufgepfropft. Eine riesige Arbeit, aber unerlässlich, um das Potenzial der Lagen wirklich nutzen zu können. Nun haben wir einen grossen Teil der Anlagen in Ertrag und auch genügend Erfahrung, um das Potenzial genauer einschätzen zu können. Künftig können wir unsere Erfahrung einsetzen, um jedes Jahr noch ein wenig besser zu werden, bis wir schliesslich das Optimum dessen erreichen, was das Terroir hergibt.
Terroir, Terroir. Ein Modewort im Wein?
Vom Terroir spricht man schon seit den alten Römern. Es ist einfach so, dass in wirklich sehr guten Weinen vor allem das Terroir den Unterschied macht und nicht mehr der Winzer. Der kann es nur noch verbocken, was bei Pinot Noir leider recht schnell geht. Damit sind wir wieder bei der Diva …
Sie haben Ihre Spitzenweine präsentiert. Ist es Ihr Ziel, nur noch solche zu produzieren?
Nein, das wäre gar nicht wirklich möglich. Wir produzieren drei Linien hier auf dem Höcklistein. Zum einen zwei Landweine, einen Blauburgunder und einen Räuschling. Diese kosten unter 20 Franken und sind ideal zum Apéro, zu einem Fisch aus dem See oder einem Plättli. Wir wollen, dass die Leute aus der Gegend von Rapperswil ein Glas ehrlichen Weins von hier geniessen können, auch zu ganz normalen Preisen. Dann machen wir die Gutsweine vom Höcklistein, das sind ambitionierte Weine aus Chardonnay, Sauvignon Blanc, Räuschling und Pinot Noir, die sich mit den besten Weinen am Zürichsee messen sollen. Und schliesslich haben wir noch die Lagenweine. Da orientieren wir uns nur noch an dem, was wir mit grösstem Aufwand aus dem Terroir hervorbringen können.
Kein Vergleich mehr mit den lokalen Weinen?
Hier auf dem Höcklistein sollen Weine entstehen, in denen man die Herkunft zu 100 Prozent erkennen kann. Keine «Allerweltsweine», keine «gemachten» Weine. Echte Terroirweine, ohne Kompromisse. Das ist nicht ganz einfach, und vor allem braucht es enorme Investitionen in Arbeit und Zeit. Das machen wir aktuell mit dem Pinot Noir und dem Merlot.
Merlot am Zürichsee?
Ein Wagnis – aber nur auf den ersten Blick. Unsere klimatischen Bedingungen lassen sich aufgrund des Klimawandels mittlerweile gut mit den Bedingungen in der Heimat des Merlot in Bordeaux vergleichen. Die Feedbacks auf die ersten Jahrgänge sind sehr erfreulich, und wir sind zuversichtlich, dass wir das über die Jahre nicht nur wiederholen, sondern sogar noch steigern können.
Wie geht es weiter?
Es gibt noch so viel zu tun. Wir experimentieren mit einer völlig neuen Qualität des Räuschlings, der eigentlich autochthonen Sorte hier am Zürichsee. Dann wollen wir einen Lagenwein aus Chardonnay produzieren, und schliesslich gibt es ja noch das Weingut in Heerbrugg … Es wird uns in den nächsten 20, 30 Jahren bestimmt nicht langweilig!
Wir wünschen Ihnen viel Glück und danken Ihnen für das Interview!
Danke, aber wünschen Sie uns lieber viel Spass! Ich bin sicher, dass guter Wein nicht nur auf gutem Terroir wächst, sondern auch von glücklichen Winzern kommt!
Weingut Höcklistein
Am oberen Zürichsee liegt eine der historisch bedeutendsten Reblagen der Region, der Höcklistein. Das gleichnamige Weingut ist in Besitz der Familie Schmidheiny, die dort mit grossen Ambitionen Weine mit Herkunft und Charakter produziert.
Andreas Stössel
Der Önologe Andreas Stössel lebte über zwanzig Jahre in der Toskana und produzierte Terroirweine aus Sangiovese und Merlot. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz widmet er sich nun vor allem seiner neuen alten Liebe Pinot Noir.