Die Polizeicorps der Deutschschweiz und die Schweizer Lebensrettungsgesellschaft (SLRG) wollen mit einer gemeinsamen Kampagne auf die Gefahren in und an den Schweizer Flüssen aufmerksam machen. Die Zielgruppe scheint auf den ersten Blick nur mit gewaltigen Streuverlusten erreichbar: ganze Deutschschweiz, Schlauchbootfahrer, Hundehalter und Flussplanscher. Therefore nimmt die Herausforderung an und gewinnt die Ausschreibung. Agentur und Auftraggeber wissen zu Beginn noch nicht, worauf sie sich da eingelassen haben. Im Interview erzählt der Gesamtprojektleiter Rolf Decker von der Kantonspolizei Zürich von geplanten, gewünschten, überraschenden und sonstigen Effekten einer ungewöhnlichen Präventionskampagne.
Rolf Decker, gibt es wirklich keine Haie in der Limmat?
Hören Sie auf, die Frage kann ich langsam nicht mehr hören (lacht und blickt auf den Fluss), ausserdem sitzen wir ja gerade am Rhein.
Der Rhein zieht hier gemächlich vorbei, ein paar Meter weiter plätschert die Töss lustig über die Steine, bevor sie friedlich einmündet… wo bitte sind hier die Gefahren, vor denen es zu warnen gilt?
Schauen Sie, gleich da hinten sind zum Beispiel zwei Wiffen. Wenn ein paar sorglose Schlauchbootkapitäne ihre Boote mit einer Schnur zusammenbinden und daran hängen bleiben drückt sie der Fluss innert Sekunden brutal unter Wasser. Oder dort an der Anlegestelle der kleinen Fähre. Wenn Sie daran vorbeischwimmen und Sie der Steuermann nicht sieht, machen Sie Bekanntschaft mit der Schiffsschraube – unschön. Und auch in der Töss gibt es sogar im hochsommerlichen Niedrigwasser Schwellen, aus denen man manchmal nicht mehr lebend herauskommt
Wenn Sie das so erzählen, vergeht einem ja die Lust am Baden.
Und genau das ist auch das Problem bei Präventionskampagnen. Wenn man mit den Gefahren droht, den Mahnfinger aufhält, dann hört erstens niemand zu und zweitens wird die Botschaft verdrängt. Genau deshalb hatten wir mit der Hai-Kampagne einen so grossen Erfolg. Wir haben auf eine spezielle, spielerische und interessante Weise auf die Flussregeln aufmerksam gemacht. Wer diese befolgt, geht den grössten Gefahren aus dem Weg. Also eher eine Anleitung zum sicheren Baden und Schlauchbootfahren als ein Verbot
Was war die grösste Herausforderung bei diesem Projekt?
Schwierig war sicher, die ganze Zielgruppe zu erreichen, die doch sehr breit war: Gelegentliche Schlauchbootfahrer, Badegäste, Hundehalter, ganze Deutschschweiz. Jeder Mediaplaner kriegt dabei Alpträume. Therefore hatte dann die zündende Idee, die Leute mit Schwerpunkt genau dort zu informieren, wo die Gefahren sind, respektive beginnen. Es gibt Flussstellen in der Schweiz, an denen sich identische Unfälle wieder und wieder ereignen. Ein Beispiel: Eine Schwelle im Kanton Neuenburg. Ein Hund springt ins Wasser und kommt nicht mehr aus dem Strudel raus. Der Hundehalter springt hinterher, versucht ihn zu retten. Beide tot. Ein Jahr später, der selbe Ort, dieselbe Geschichte. Was liegt also näher, als ein Schild genau dort zu platzieren? Oder an den beliebten Stellen, an denen die meisten Schlauchboote einwassern. Auf den Brücken, von denen die Jugendlichen in die Limmat springen. Und so weiter.
Und wann kamen die Haie ins Spiel?
Die kreative Idee war, durch eine eigentlich groteske Botschaft die Aufmerksamkeit auf das Schild zu lenken, um dann die Informationen zu vermitteln. Ein australisches Warnschild mit einem Hai drauf, das Ganze durchgestrichen – also eigentlich ein Ent-Warnschild. Und dann die Botschaft: Es gibt in der Limmat keine Haie, aber ganz reale Gefahren. Für diese gelten folgende Flussregeln..
Das hat funktioniert?
Am Wasser schon mal sehr gut! Die Schilder wurden gesehen, gelesen, diskutiert. Kaum jemand, der an so einer Tafel einfach vorbeispaziert wäre. Dazu kam dann noch der Hype in den klassischen und neuen Medien.
Welcher Hype?
Nun, wir begannen etwa 10 Tage vor dem offiziellen Kampagnenstart mit dem Aufbau der Schilder an den Flüssen. Schon einen Tag später hatte ein Leserreporter ein erstes Foto an die Pendlerzeitung 20 Minuten geschickt. Durch den Bericht in der Print- und Online-Ausgabe wurde die Kampagne schon zum Medienthema, bevor sie überhaupt lanciert war. Einerseits überraschend, andererseits auch sehr ermutigend, denn von den Dutzenden von Kommentaren der Leser war die überwältigende Mehrheit sehr, sehr positiv.
Wie wurde die Kampagne dann offiziell gestartet?
Mit Medienkonferenzen in den einzelne Kantonen. Wir luden wie immer alle wichtigen Medienpartner ein und stellten die Massnahmen vor. Auch hier kamen das Sujet und die Idee sehr gut an, wir hatten eine sehr grosse Medienabdeckung und eine wohlwollende Berichterstattung. Das hat der ganzen Kampagne wohl noch viel mehr Schwung gegeben als die begleitende Plakatierung.
Wie ging es weiter?
Die Schilder waren also installiert und wurden stark beachtet. In der Stadt Zürich kam kaum ein Tourist an einem Schild vorbei, ohne dass er ein Bild davon gemacht hätte. Zeitweise waren die ersten drei Seiten in der Google Bildersuche zu den Begriffen „Zurich Limmat“ voll mit unseren Schildern, auch zirkulierten sie bei Instagram, Pinterest, Facebook und auf Blogs. Zwar war das eigentlich nicht unser Hauptanliegen, sondern es ging darum, Badeunfälle zu vermeiden, aber eine nette Zugabe war es schon.
Hat die Kampagne denn auch etwas bewirkt?
Ganz klar ja! Zum Beispiel zeigten unsere Messungen im Web ganz klar, dass das Thema Flussregeln viel häufiger gesucht wurde. Zudem nahmen die Besuche von flussregeln.ch zu, das Thema wurde diskutiert und unsere Leute vor Ort führten viele Gespräche mit den Menschen am Fluss, die sie in vergangenen Jahren so nicht hatten. Der Chef der SLRG hat von der Schweizer Illustrierten die Rose der Woche bekommen, der Kolumnist Andi Stutz gab unserem Polizeivorsteher 5 Sterne für die Aktion. Das Ganze war also auch eine Sympathiekampagne für unsere Arbeit in der Prävention.
Wo Licht ist, ist auch Schatten – auch hier?
Naja, sagen wir es mal so: Die Schilder waren sehr, sehr beliebt, auch als Sammelobjekt. Wir haben aber auch ein paar wenige Reklamationen bekommen: Einige Leute verstanden die Kampagne nicht und machten uns darauf aufmerksam, dass es gar keine Haie in der Aare gäbe – was so ja sogar auf den Schildern steht. Eine Umweltschutzorganisation meinte, dass wir mit unserer Kampagne den Hai unsympathisch machen würden. Andere wollten uns das Sujet für Merchandising und Kunstdrucke abkaufen und jemand versuchte anscheinend sogar illegal, einen Webshop für T-Shirts mit unseren Haimotiven aufzuschalten. So viel „Aufmerksamkeit“ haben wir nicht mit jeder Kampagne. Das war nicht nur einfach, sondern manchmal auch anstrengend, aber unterm Strich natürlich positiv.
Welches Fazit ziehen Sie aus der Kampagne, was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Kritisieren ist immer einfach. Es war eine sehr gute, sehr erfolgreiche Kampagne, basta! Naja, vielleicht müsste man beim nächsten Mal die Botschaft noch direkter formulieren. Zudem hatten wir den Online-Hype nicht vorausgesehen, wir hätten den sonst viel gezielter nutzen können. Nur schon die Homepage der Agentur Therefore hatte aufgrund einer kleinen Project Note während der Sommermonate fast 10-mal mehr Besucher als normal. Auch mit Social Media wäre viel, viel mehr möglich gewesen. Doch wie gesagt: Wir sind sehr zufrieden.
Was kommt als nächstes? „Keine Vampire im Sihlwald“ oder „Keine Saurier im Seefeld“?
Jetzt ist der Sommer vorbei, jetzt kommen andere, konventionellere Themen. Zuerst der Schulanfang, dann die Dämmerungseinbrüche… uns gehen in der Prävention die Themen – leider – nie aus.
Danke für das Gespräch!
Kantonspolizei Zürich
Die Kantonspolizei Zürich ist Kriminal-, Sicherheits- und Verkehrspolizei. Neben Intervention und Repression gehört die Prävention zu den drei Hauptaufgaben des an die 3’700 Personen starken Corps. Zusätzlich zu den permanenten Arbeiten werden jedes Jahr punktuell Präventionskampagnen lanciert, die sich um wechselnde Schwerpunktthemen kümmern. Im Fall der Flusskampagne 2014 koordinierte die Kantonspolizei Zürich eine interkantonale Kampagne verschiedener CH-Polizeicorps und der SLRG.
Rolf Decker
Der PR-Fachmann Rolf Decker arbeitet seit 1984 bei der Kantonspolizei Zürich, seit 1995 in verschiedenen Bereichen der Kommunikation und Prävention. Im Jahr 2013 und 2014 war er Gesamtprojektleiter für die Schwimmerkampagne „Keine Haie in unseren Flüssen“. Privat ist Rolf Decker ein begeisterter Wassersportler. Seit vielen Jahren taucht und segelt er in und auf heimischen Gewässern.