Im Glashaus

Als CEO eines systemrelevanten KMU mit über 120 Mitarbeitenden und einem extrem breiten Leistungsspektrum könnte man ihn bezeichnen. Oder auch als Gemeindeschreiber – was für Uneingeweihte auf den ersten Blick weitaus weniger spannend klingen mag. Doch wer Thomas-Peter Binder kennenlernt, vergisst bald die Klischees der verstaubten Amtsstuben. Er ist Gemeindeschreiber der Zürcher Oberländer Gemeinde Gossau und Präsident des Verbands der Zürcher Gemeinde- und Verwaltungsfachleute (VZGV). Im Interview berichtet er über die aktuellen Herausforderungen seiner Branche und wieso Digitalisierung und Kommunikation zu sehr wichtigen Kernaufgaben von Gemeinden und Städten werden müssen.

Thomas-Peter Binder, wo treffen wir Sie hier?
Physisch sind wir im Gemeindehaus der Gemeinde Gossau im Zürcher Oberland. Oder im übertragenen Sinne befinde ich mich gerade zwischen zwei Sitzungen.

Also viel sitzen als Beamter?
Das ging aber schnell! Gleich zwei Klischees in einer kurzen Frage (lacht). Also erstens gibt es bei uns auf der Gemeinde keine Beamten, wie man sie beispielsweise vom Ausland her kennt. Und zweitens ist ein sehr wichtiger Teil meiner Arbeit vor allem das Kommunizieren und Verhandeln, nicht das Sitzen! (lacht)

Okay, also viel reden als Leiter der Gemeindeverwaltung?
Ja, absolut. Einerseits wird jede Managerin und jeder Manager eines Betriebes dieser Grösse vor allem Führungs- und Kommunikationsaufgaben wahrnehmen und weniger operativ arbeiten. Andererseits stellt meine Position auch eine Schnittstelle zwischen der Bevölkerung, der politischen Führung und der Verwaltung dar. Da gibt es sehr viel Kommunikationsbedarf in alle Richtungen.

Gemeindeschreiber als Kommunikationsberuf?
Das war er eigentlich schon immer, doch die Anforderungen an die Kommunikation sind über die letzten Jahre enorm gestiegen. Und das ist erst der Anfang. Kommunikation und Digitalisierung gehören aktuell zu den grössten Herausforderungen unserer Branche.

Inwiefern?
Da haben wir die immer grösser werdenden Ansprüche der Bevölkerung in Bezug auf die Kommunikation mit uns als Verwaltung und Behörde. Die Zeiten, in denen man sich Informationen oder Unterlagen im Gemeindehaus ausschliesslich zu den Öffnungszeiten am Schalter abgeholt hat, sind längst vorbei. Heute haben die Leute den Anspruch, «Behördengänge» digital erledigen zu können. Und das zu Recht, wie ich meine.

Davon sind die meisten Gemeinden noch weit entfernt, oder?
Obwohl im Hintergrund mit Hochdruck an der Digitalisierung gearbeitet wird und schon viel erreicht wurde, hat unsere Branche tatsächlich noch einiges zum Aufholen. Doch es gibt Tücken bei den digitalen Dienstleistungen, da sie oftmals heikle Personendaten betreffen. Die gilt es natürlich zu schützen.

Das Kommunizieren und Verhandeln ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit.

Was tun Sie konkret in Sachen Digitalisierung?
Digitalisierung ist für uns ein Weg, unsere Leistungen schneller, kosteneffizienter und kundenfreundlicher anbieten zu können. Da gibt es laufend viele Prozessverbesserungen wie in der Privatwirtschaft auch. 2021 wurde ein grösseres Projekt gestartet, um die Digitalisierung der Verwaltungen beschleunigt voranzutreiben. Auch Gossau soll zu einer digitalen Mustergemeinde werden. Sie soll spezifisches Know-how sammeln und dieses auch anderen Städten und Gemeinden zur Verfügung stellen. Das zeigt klar: Das Projekt will nicht nur den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenkommen, sondern wird auch unsere internen Abläufe und die Arbeitswelt für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verändern.

Homeoffice in der Gemeindeverwaltung?
Das ist bei uns schon gelebter Alltag. Natürlich braucht es Präsenz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt. Doch darüber hinaus sehe ich keinen Unterschied zwischen Fachpersonen bei uns und in der Privatwirtschaft. Qualifizierte Fachleute wollen ein attraktives, flexibles Umfeld und sie möchten ihre Leistungen auf eine zeitgemässe Art erbringen.

Sie sprechen den Fachkräftemangel an.
Es geht uns wie allen anderen: Wir kämpfen an allen Fronten um die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Von den Lernenden bis zu den leitenden Angestellten brauchen wir die gleichen Kompetenzen wie die Privatwirtschaft. Damit werden wir auch direkt verglichen.

Wie gehen Sie diese Herausforderungen an?
Wir kommunizieren innerhalb der verschiedenen Gemeindeverwaltungen intensiv, zum Beispiel über den VZGV, den Verband der Zürcher Gemeinde- und Verwaltungsfachleute (VZGV). Und als Gemeinde Gossau lassen wir uns von Fachleuten entsprechend beraten.

Sie erwähnten eingangs schon die Kommunikation als Schlüsselherausforderung neben der Digitalisierung.
Ein Grossteil der beiden Aspekte geht ja Hand in Hand. Doch die Kanäle und die Technologie sind nur der eine Faktor. Inhalte, Stil und Tonalität der Kommunikation sind natürlich genauso wichtig. Auch da haben wir noch Handlungsbedarf in vielen Bereichen. Dazu kommt: Bei uns ist die tägliche Kommunikation auch gleichzeitig Employer Branding. Wie uns die Bevölkerung als Dienstleisterin wahrnimmt, bestimmt auch unser Image als Arbeitgeberin.

Sie haben als Präsident des VZGV in den letzten Jahren mehrere Kommunikationskampagnen lanciert. Mit welchen Zielen?
Mit der ersten Gemeindekampagne wollten wir die vielfältigen Leistungen transparent machen, welche Gemeinden und Städte für die Bevölkerung tagtäglich erbringen. Was es braucht, damit es in der Gemeinde rund läuft, ist kaum jemandem bewusst. Der zweite Teil war dann direktes Employer Branding. Gemeinden und Städte sind mit ihrem enorm breiten Spektrum an Aufgaben äusserst attraktive Arbeitgeberinnen.

Was macht Gemeinden und Städte Ihrer Meinung nach attraktiver als andere Arbeitgebende?
Es ist der Sinn unserer Arbeit. Wir erbringen Leistungen für die Bevölkerung, schaffen Lebensqualität. Sinnstiftende Arbeit ist ein USP, den nicht alle haben.

Und die Jobs sind sicher!
Ja, sicher sind sie auch. Aber das soll nicht der Hauptgrund sein, sich bei uns zu bewerben. Wir wollen Menschen, die gerne mit anderen Menschen und für andere Menschen arbeiten. In Gossau bewegen wir für unsere gut 10’000 Einwohnerinnen und Einwohner ein Budget von jährlich zwischen 50 und 60 Mio. Franken. Das ist eine beachtliche Summe, und gleichzeitig ein Ansporn, um daraus für den Menschen das Beste herauszuholen. Auch wir Städte und Gemeinden haben eine Art Wettbewerbsgedanken.

Und wieso rückt die Kommunikation der Gemeinden zunehmend in den Fokus? Als Behörde haben Sie von Kundenseite her doch keine Konkurrenz?
Lassen Sie mich einen anderen Vergleich ziehen. Wir haben zwar keine Konkurrenz für die meisten unserer Leistungen, doch wir sind in einem anderen Aspekt sehr direkt mit der Privatwirtschaft vergleichbar. Die Einwohnerinnen und Einwohner unserer Gemeinde bezahlen unsere Leistungen mit ihren Steuern. Deshalb wollen sie, analog den Aktionärinnen und Aktionären einer börsenkotierten Firma, dass diese Mittel sorgfältig eingesetzt werden. Wir sitzen demzufolge im Glashaus, alle Augen sind auf uns gerichtet. In Gossau legen wir unseren über 10’000 Kundinnen und Kunden gegenüber Rechenschaft darüber ab, was wir mit ihrem Geld machen. Deshalb ist hier die Kommunikation enorm wichtig.

Zum Beispiel?
Im direkten Kundenkontakt stets freundlich und hilfsbereit zu sein, ist ein wichtiger erster Schritt. Dann geht es aber um die Kommunikation von Entscheidungen und Projekten. Darlegen, wieso man etwas tut oder lässt. Oder auch in der Prozessgestaltung. Es gilt, die richtigen Worte zu finden. Was wurde beispielsweise schon darüber diskutiert, ob die erste Mahnung einer Steuerrechnung bereits eingeschrieben verschickt werden muss oder nicht. Oder wie man eine für den Kunden unerwünschte Entscheidung kommuniziert, ein abgelehntes Baugesuch zum Beispiel.

Wie reagieren die Menschen darauf?
So unterschiedlich, wie der Mensch ist. Wir versuchen aber immer transparent zu sein und zu begründen, wieso wir in die eine oder andere Richtung entschieden haben. Das ist auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig. In der Gemeinde kennt man sich, wohnt vielleicht nebeneinander, die Kinder gehen zusammen zur Schule…

Wir versuchen immer transparent zu sein.

Klingt nach einer grossen, täglichen Herausforderung. Was sind Ihre nächsten grösseren Projekte?
Wir stecken mitten in der digitalen Transformation unserer Arbeitsstrukturen. Und wir werden nächstens das Thema Website neu angehen. Vor zwanzig Jahren hatten wir mit unserer damals neuen Site einen guten Standard gesetzt, ja damit sogar einen Digitalpreis gewonnen. Doch 20 Jahre sind eine sehr lange Zeit, gerade auch für Websites… ich freue mich auf die neue.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


Verein Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute
Der VZGV vertritt als politisch neutrale Dachorganisation die Interessen Zürcherischer Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Die rund 500 Mitglieder sind aktive oder ehemalige Mitarbeitende dieser Verwaltungen.

Thomas-Peter Binder
Thomas-Peter Binder agiert als Präsident des VZGV. Zusammen mit den weiteren Mitgliedern des Vorstands ist er für die Leitung des Vereins verantwortlich und trägt die Gesamtverantwortung für dessen Aufgaben.