Schreibtisch-Täterin

Die Kriminologin Mirjam Loewe wechselte vor drei Jahren aus der Wissenschaft an die Front. Heute unterstützt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich. Sowohl für sie wie auch für ihre Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei ein Novum. Wie Wissenschaft und Polizeiarbeit dazu beitragen, dass Verbrechen gar nicht erst entstehen, und wie Google Analytics dabei hilft, dass weniger Zürcher Rentner um ihr Geld betrogen werden, erzählt sie im Interview.

Frau Loewe, sind Sie so etwas wie CSI Zürich?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Auch in meinem engsten Bekanntenkreis. Aber das ist absolut nicht so. CSI ist Spurensicherung und Analyse, also Kriminalistik. Ich hingegen bin Kriminologin.

Kriminologie, Kriminalistik?
Als Kriminologin beschäftige ich mich mit dem Hintergrund der Verbrechen. Meine Arbeit geht über den einzelnen Kriminalfall hinaus. Mit einer sozialwissenschaftlichen Perspektive bearbeite ich Fragen wie beispielsweise: Weshalb passieren Delikte, wie funktionieren sie, und schliesslich auch, wie kann man sie verhindern?

Sie klären also nicht auf?
Doch, aber die Bevölkerung, nicht die eigentlichen Verbrechensfälle. (lacht) Ich fokussiere mich darauf, welche Verbrechen wir mit welchen Massnahmen verhindern können. Die Kampagne gegen den sogenannten Enkeltrickbetrug ist ein gutes Beispiel dafür. Wir untersuchen zuerst genau, wie die Täter vorgehen, wie und wieso ihre Strategien überhaupt funktionieren. Und welche psychologischen Mechanismen beim Opfer ausgelöst und von der Täterschaft gezielt ausgenutzt werden. Das gibt uns danach die Möglichkeit, mit Aufklärungsarbeit die Bevölkerung zu schützen.

Prävention durch Information also.
Ja, genau. Nicht nur die potenziellen Opfer, sondern auch ihr Umfeld. Wir haben herausgefunden, dass es verschiedene Muster im Verhalten potenzieller Opfer gibt. Diese Muster fallen dem Umfeld auf. Durch eine Intervention kann so das Verbrechen selbst verhindert werden. Was heisst das im konkreten Fall? Einmal in Bedrängnis geraten, versuchen die Opfer immer ungewöhnlich viel Bargeld von ihrem Konto zu beziehen. Dabei sind sie oft sichtbar unter Stress. Wenn wir also die Banken informieren und diese ihr Schalterpersonal schulen, kann dort eine sehr wirkungsvolle Prävention stattfinden. Dazu kommt die Information des persönlichen familiären Umfelds.

Wie kommen Sie mit Ihren Informationen an eine so heterogene Zielgruppe?
Das war in der Tat eine grosse Herausforderung, denn das Interesse an präventiven Botschaften ist gerade im Bereich Enkeltrick nicht besonders hoch. Niemand hat Angst vor dem Enkeltrick, weil er sich selbst nicht als potenzielles Opfer sieht. Aber auch hier hilft das genaue Studium des Verhaltens. Wenn heute jemand mit einer ungewöhnlichen Situation konfrontiert wird, er beispielsweise einen eigenartigen Anruf erhält, fragt er einfach mal Google. Wir wissen aus Fallanalysen einigermassen genau, welche Fragen jemand in der Situation hat. Von da an ähnelt das weitere Vorgehen technisch mehr oder weniger einer klassischen Marketingkampagne.

Wir von Therefore durften diese Kampagne als Kommunikationsagentur begleiten. Tatsächlich gingen wir vom Prozess her sehr ähnlich vor wie bei anderen Kommunikationsthemen, die sich an eine Nische oder an Zielgruppen in relativ gut definierbaren Situationen richten. Targeted Content und sauberes SEO sind dann die Mittel der Wahl. Wie hat es rückblickend bei Ihrer Präventionskampagne gewirkt?
Als Wissenschaftlerin ist es mir jetzt, nicht einmal ein Jahr nach der Lancierung, natürlich noch viel zu früh, um eine fundierte Aussage machen zu können. Dazu werde ich noch viele Daten auswerten. Aber ich kann schon mal sagen, dass ich mit der Art, wie ich mit dieser Präventionskampagne an auswertbare Daten komme, sehr zufrieden bin.

Sie meinen Google Analytics?
Ja, genau. Genau wie bei einer klassischen Marketingkampagne wurde unsere Website von Anfang an darauf ausgerichtet, an Messdaten zu kommen. Wir können so eine gute Aussage darüber machen, wie stark welche Inhalte gesucht und gelesen werden. Angaben über die Demografie der Nutzer ergänzen das. Eine weitere Aussage lässt sich über die ergänzenden Massnahmen machen, zum Beispiel sehen wir, wie die Nutzung unserer Präventionsseite telefonbetrug.ch ansteigt, wenn wir PR-Arbeit betreiben oder in den Medien erscheinen.

Erzählen Sie uns mehr von der Kampagne gegen den Enkeltrick, eine perfide Variante des Telefonbetrugs.
Der Enkeltrick ist eine Masche, bei der via Telefonbucheintrag gezielt Menschen mit älter klingenden Vornamen wie Elfriede angerufen werden und ihnen vorgegaukelt wird, dass ein Verwandter oder Bekannter am Telefon sei. Dann wird eine Notlage vorgegeben, aus der die Person nur helfen kann, wenn sie in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld auftreibt. Dieses soll dann von einer dritten Person abgeholt werden. Es ist unglaublich, wie gut diese Betrüger sind und wie oft sie damit Erfolg haben. Wir setzen bei der Kampagne auf mehrere Elemente. Neben der bereits erwähnten Information von Bankangestellten, die erkennen sollen, wenn eine Person unter Druck eine ungewöhnlich hohe Summe abhebt, gehen wir die potenziellen Opfer selbst sowie deren Umfeld an. Wir schalten stark regionalisierte Plakate im Stil von «Telefonbetrüger sind auch im Bezirk Horgen aktiv». Das macht die Gefahr realer für die Leute und es wird klar: es passiert auch hier, nicht bloss irgendwo.

Das Herzstück ist dann die Website telefonbetrug.ch.
Darauf zeigen wir nochmals, wie viele Betrugsfälle es wo im Kanton Zürich gab und wie man sich davor schützen kann. Mit Antworten auf viele Fragen, die jemand in einer solchen Situation hat, erzielen wir sehr gute Platzierungen in den Suchresultaten bei Google und Co. Das hilft, wenn jemand aus dem Umfeld verdächtige Anzeichen sieht und noch nicht weiss, worum es sich handeln könnte. Dank den Nutzungsdaten der Website erhalten wir einen guten Indikator über die Aktivitäten der Betrüger und eine Ergänzung zu den Fällen, die zur Anzeige gelangen.

Zurück zu Ihrer Arbeit in der Präventionsabteilung der Zürcher Kantonspolizei. Wie war es, als Sie als Wissenschaftlerin bei den praxiserprobten Polizistinnen und Polizisten begonnen haben?
Am Anfang war es ein gegenseitiges An-sich-Herantasten. Mitte 2014 wurde meine Stelle neu geschaffen und es gab noch keine Erfahrungen zu dieser Form der engen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Wir hofften, dass wir gegenseitig voneinander profitieren können, doch wie das in der Praxis dann aussehen würde, war überhaupt noch nicht klar, zumal ich das Polizeihandwerk und die Polizeikultur überhaupt nicht kannte. Auf der anderen Seite war den Polizisten die Welt der Wissenschaft völlig fremd. Es braucht Offenheit von beiden Seiten. Mein Team hat mich aber sehr gut aufgenommen und mittlerweile wissen beide Seiten mehr von der Welt der jeweils anderen Seite, die am Anfang unbekannt war. Wir wollen auf diese Zusammenarbeit nicht mehr verzichten.

Was ist in der Praxis anders als in der Theorie?
Anders als an der Uni steht in der Praxis nicht die Wissensgewinnung im Vordergrund. Von der Uni kommend, war ich vor allem an Daten interessiert. Und die sollten irgendwie erhoben werden. Also machte ich mich mit Fragebogen und Notizblock auf zu den Opfern für Gespräche. Und dann sitzen da Menschen, die vor allem einmal nur über das Erlebte reden wollen, statt mit mir durch standardisierte Verfahren zu gehen. Meine Kollegen kannten das natürlich und hatten bereits ein sehr gutes Gespür, um in solchen Situationen zwischen ihrer Arbeit und dem Bedürfnis der Gesprächspartner den besten Kompromiss zu finden. Die Leute sollen sich ja auch besser fühlen nach dem Gespräch mit der Polizei. Dies bedeutet für mich als Wissenschaftlerin, Kompromisse bezüglich der Datenqualität einzugehen. Oft verabschiede ich mich von den Opfern mit dem Wissen, dass noch Fragen offen sind, jedoch auch dem guten Gefühl, dass es den Opfern nun etwas besser geht.

Wie profitiert die Polizei vom Einsatz wissenschaftlicher Methoden?
Langfristig wird gerade die Prävention an Effektivität und Effizienz gewinnen, wenn wir wissenschaftliche Methoden einbinden können, insbesondere Wirkungen messen und unsere Schlüsse für zukünftige Massnahmen daraus ziehen. Wichtig ist, die klassische Polizeiarbeit und die Wissenschaft zu kombinieren. Wenn wir zusammenarbeiten, dann holen wir das Beste heraus.

Fehlt Ihnen die Forschungswelt der Uni Zürich nicht ein bisschen?
Nein, ich bin noch mit einem Pensum von 20 Prozent in der Forschung an der Universität Zürich beim Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie von Prof. Christian Schwarzenegger tätig. Dort habe ich vor Kurzem auch meine Doktorarbeit abgeschlossen.

Na, jetzt ist alles klar, Sie haben Ihr Handwerk also beim Terminator gelernt?
Ja, genau! Und ich sage allen Gangstern: «Hasta la vista, Baby!» (lacht)

Kantonspolizei Zürich
Seit 2014 arbeitet Mirjam Loewe als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich. Sie bringt die wissenschaftlichen Methoden und die Kenntnisse aus der kriminologischen Forschung in die tägliche Polizeiarbeit ein.

Mirjam Loewe
In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die Wirksamkeit eines im Justizvollzug neu eingesetzten Arbeitsmittels zur Reduktion der Rückfälligkeit von Gewalt- und Sexualstraftätern. Das zunächst in vier Kantonen erprobte Arbeitsmittel wurde daraufhin in der ganzen Deutschschweiz eingesetzt.

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